Dienstag, 30. Dezember 2014

Wohin geht die Reise? Die zwei Betriebssysteme und das Personalmanagement

Das Personalmanagement steht vor massiven Herausforderungen. Die vielfältigen technischen und organisatorischen Veränderungen bringen gänzlich neue Anforderungen an das Personalmanagement mit sich. Ich möchte hier Gedanken von Kotter aufgreifen, die er in seinen aktuelle Veröffentlichungen zum Change Management geäußert hat. Dabei faszinieren mich insbesondere seine Überlegungen zu den sogenannten zwei Betriebssystemen. Damit meint er sowohl das bekannte, durch Hierarchien und klassische Managementprozesse gekennzeichnete, System als auch das neue Betriebssystem, das vor allem durch netzwerkartige und agile Strukturen gekennzeichnet ist. Kotter modifiziert und ergänzt mit der Einführung dieser zwei Systeme seine oft zitierten Aussagen zum Change Management. Dabei gilt es, neben der emotionalen Seite von Veränderungen auch die Wirkungen von Netzwerken zu begreifen. Bei der Beschäftigung mit flexiblen und agilen Unternehmen konnte mit der Fähigkeit Netzwerke zu mobilisieren, ein entscheidender Faktor identifiziert werden. Damit geht Kotter über seine Aussagen hinaus, die durch die prägende Rolle von Hierarchien bzw. episodisch anzuwendende Instrumente des klassischen Change Managements gekennzeichnet waren. Bemerkenswert ist, dass er dieses Netzwerk nicht als „zweite“ informelle Organisation zur Mobilisierung der Mitarbeiter, sondern als „Teil des Gesamtsystems“ betrachtet. Damit bestätigt er die Existenz von „zwei parallelen Systemen“, „die Hand in Hand arbeiten“. Vor allem der Netzwerkseite als „zweitem Betriebssystem“ gilt aus Sicht des Personalmanagements meine weitere Aufmerksamkeit.

Auch wenn Kotter das Change Management im Blick hat, können Schlussfolgerungen für das Personalmanagement gezogen werden: In erster Linie geht es um Möglichkeiten dieses Netzwerk zu unterstützen. Wie können die konkreten Beiträge des Personalmanagements dafür aussehen? Hier fallen mir viele der aktuellen, zum Teil sehr lebhaften, Diskussionen ein, die neue Ideen und Ansätze in den Bereichen HR und Führung zum Inhalt haben. Viele der Diskussionen kreisen um eine mehr oder minder breite Beteiligung von Mitarbeitern, Führungskräften und Mitarbeitergruppen am Unternehmensgeschehen. Hierzu sind Diskussionen zur Demokratisierung im Unternehmen bis hin zu Ansätzen zur Beteiligung von Mitarbeitern an konkreten Personalentscheidungen zu nennen. Für das Personalmanagement sollte es weniger um eine kritische Beobachterrolle, sondern vor allem darum gehen, entsprechende Innovationen selbst zu entwickeln oder zu begleiten. Damit ich richtig verstanden werde, es geht m. E. nicht um Sozialromantik oder „kosmetische“ Partizipation, sondern um die nachhaltige Sicherung einer effektiven und weitgehenden Beteiligung der Mitarbeiter. Dazu kann auch gehören, dass die Mitarbeiter befähigt werden, sich an Entscheidungen zu beteiligen. Dies bedeutet, dass ein bloßes Agieren der Personaler als Change Agents (Ulrich) oder als Change-Abteilung (Janszky) perspektivisch nicht ausreichen dürfte.

Im Weiteren will ich mich nicht mit den bekannten Schlagworten, wie Leadership 2.0, Management 3.0 etc., abarbeiten, sondern einige - willkürlich ausgewählte - Beispiele für die neuen Möglichkeiten zur Beteiligung von Mitarbeitern nennen. Damit soll die Bandbreite möglicher HR-Innovationen angedeutet und darüber hinaus verdeutlicht werden, dass diese weithin durch die Anwendung digitaler Medien geprägt sind. Die Beispiele werden anhand ihrer angenommenen Tragweite gruppiert. Mir ist bewusst, dass sowohl die Bewertung der Tragweite als auch die Beispiele an sich durchaus kontrovers diskutiert werden können. Ergänzende Beispiele und andere Meinungen sind willkommen!

1. Gruppe 
Beteiligung im Rahmen „neuer organisatorischer Gesamtlösungen - Von der „Social Organization“ zur „Holocracy“ 
Viele Diskussionen kreisen um die Begriffe "Social Organization", "Connected Organization", "Enterprise 2.0" - ein einheitliches Verständnis hat sich noch nicht entwickelt. Auch die Beteiligung der Mitarbeiter ist durchaus unterschiedlich. Interessant, dass in der Praxis schon entsprechende Konzepte angewandt werden. Als Beispiel kann das Konzept "Holocracy" bei Zappos mit einem breiten Verzicht auf Job-Titel und Managementebenen angeführt werden. Lesenswert ist der Beitrag von Denning zu Holocray & Zappos in Forbes.

2. Gruppe 
Beteiligung durch digital gestützte Arbeitsweisen - „Einführung des Digital Workplace“
Digitale Arbeitsplätze bieten vielfältige Optionen zur Beteiligung der Mitarbeiter durch die breite Weitergabe von Informationen zu Personen und mittels Wissensteilung (Zurverfügungstellung von Informationen sowie die Unterstützung der Organisation von Aufgaben und Meetings). Empfehlenswert sind die interessanten Zusammenstellungen von Oscar Berg und Jane McConnell.

3. Gruppe 
„Die Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeiter“ und die verstärkte Beteiligung von Mitarbeitern und Führungskräften bei Unternehmens- und Personalfragen
Den Ausgangspunkt bildet hier die stärkere Fokussierung auf die Beziehung zu den Mitarbeitern (Interessante Aussagen dazu im aktuellen Report von Altimeter). Beispiele für eine neue Beziehung sehe ich auch in der Wahl von Vorgesetzten (umantis) aber auch in der stärkeren Beteiligung von Führungskräften bei der Rekrutierung oder auch im Teamrecruiting (bin hier besonders auf weitere Informationen von Henrik Zaborowski gespannt). Ein Bespiel für Selbstorganisation bzw. Soziokratie ist die oose Innovative Informatik eG, bei der Führungskräfte verzichtet wird: Die entsprechenden Aufgaben werden hier von den Mitarbeitern ausgeführt. Die oose Innovative Informatik eG ist mittlerweile eine Genossenschaft zu 100% im Besitz der Mitarbeiter.

4. Gruppe 
Beteiligung durch neue Möglichkeiten zur Bewertung von Vorgesetzten und der Stimmung in den Unternehmen (zum Teil in Echtzeit)
Hier existieren bereits eine Reihe von verschiedenen Beurteilungs-Werkzeugen. Neue Möglichkeiten bietet u. a. eine Modifikation des Net Promoter Score (NPS) zum eNPS (Employee NPS) aber auch die Bewertung der Stimmung von Mitarbeitern (in Echtzeit) mit der Lösung von Celpax und auch Company Mood von Markus Schwed (hier auch das Interview mit Markus Schwed zum HR Innovation Day 2014).

5. Gruppe 
Die kleinen Schritte/Anwendungen
Es geht auch ohne digitale Hilfsmittel: Mit Mitarbeitern kann über die Möglichkeiten der Delegation von Aufgaben diskutiert werden. Delegation-Poker kann diese Diskussion auf einfache Weise befördern.

Die Beispiele bestärken mich in der Auffassung, dass das „zweite Betriebssystem“ nur im Rahmen einer stärkeren Beteiligung von Führungskräften, Mitarbeitern und Mitarbeitergruppen umsetzbar ist. Diese Beteiligung kann sich in kleinen und bekannten Maßnahmen („Projektarbeit“) aber auch in umfassenderen Aktivitäten, wie der gegenseitigen Beurteilung, der stärkere Einbeziehung von Mitarbeitern und Führungskräften bei der Rekrutierung von Mitarbeitern, der Bildung von Communitys ohne ständige Kontrolle aber auch in der Wahl von Führungskräften durch die Mitarbeiter zeigen. Die spannende Frage ist, welche Aufgaben das Personalmanagement dabei findet oder übernimmt.

Mit einem Großteil der Ideen zum zweiten Betriebssystem befinde ich mich in guter Gesellschaft. Hier erinnere ich an das DGfP-Lab in Berlin (Bericht von Stephan Grabmeier). Auch der von Josh Bersin thematisierte Übergang vom Talent Management zum People Management (Stichwort: Empowerment) bietet breite Möglichkeiten für weitere Diskussionen:

Isabell Welpe spricht in einem lesenswerten Interview von einem Wettbewerb der Systeme und beschreibt die Möglichkeiten einer Demokratisierung in den Unternehmen. Wie an den Beispielen erkennbar ist,  wurden einige Ideen bereits umgesetzt. Mir scheint, dass sich Personaler bislang eher in einer Beobachterrolle eingerichtet haben. Sie sollten sich stärker als Treiber und Ermöglicher des Aufbaus und der Pflege des "zweiten Betriebssystems" positionieren. Dabei können die digitalen Medien entscheidend helfen. Es entstehen aber auch neue Aufgaben, z. B. als „Schiedsrichter“, damit neue Verfahrensweisen einheitlich und gerecht umgesetzt werden. Demgegenüber dürfte die Bedeutung des Personalmanagements hinsichtlich transaktionaler Aufgaben weiter abnehmen.

Moderne Personaler stehen vor der Aufgabe, diese neuen Anforderungen anzunehmen und auszugestalten. Sehr schön hat Jane Watson die möglichen Konsequenzen mit der Frage "HR: Organizational Cheerleader or Agony Aunt" zusammengefasst. Auf Diskussionen und Ergänzungen freue ich mich sehr.

Mit freundlichen Grüßen und

besten Wünschen für einen guten Rutsch in ein erfolgreiches und innovatives Jahr 2015

Peter M. Wald


Hinweise:

Ein Gespräch von Ralf Langen mit John Kotter "Die Kraft des Netzwerks - Change Management für eine beschleunigte Welt", In: "Zeitschrift für Organisationsentwicklung" 3-2014.


John Kotter; "Accelerate ­ - building strategic agility for a faster-moving world", HBR 2014.

John Kotter; "Die Kraft der zwei Systeme", In: Harvard Business Manager" Spezial 2015. 

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