Donnerstag, 11. April 2013

Transparenz im Rekrutierungsprozess – Alles sagen, oder?

Auf dem HR BarCamp in Berlin hatte ich Gelegenheit, einen interessanten Beitrag von Frau Martens zur Transparenz im Rekrutierungsprozess zu verfolgen. Dieses Thema hat mich aufhorchen lassen, weil es mich an meine Zeit als Personalleiter und an die manchmal unangenehmen Fragen von Bewerbern erinnert hat. „Warum haben Sie sich nicht für mich entschieden?“ Hier geht die Firma etruvian einen anderen Weg, weil Bewerbern Transparenz in allen Phasen des Rekrutierungs- prozesses in Aussicht gestellt wird. Dies bedeutet für mich vor allem, dass auch die Fragen nach den Gründen einer Absage offen beantwortet werden.  Da mich dieses Thema nach wie vor bewegt, freue ich mich umso mehr, dass Anne Martens - Talent Scout bei etruvian - bereit ist, einige meiner Fragen aus Sicht des Recruiters zu beantworten.

Wald: Vornweg einige Fragen zur etruvian GmbH und zu Ihren Zielgruppen. Wer gehört zu Ihren Wunschbewerbern? Auf welche Medien greifen Sie bei der Rekrutierung zurück?
Martens: Hallo Herr Wald, ich freue mich, Ihnen heute einen Einblick in unseren Rekrutierungsprozess geben zu können. Die etruvian Gruppe – und insbesondere die Hamburger  IT-Tochter ICANS GmbH – sind ständig auf der Suche nach hochqualifizierten, kreativen und engagierten IT-Experten. Da wir uns hier auf einem Arbeitnehmermarkt befinden und sich die ITler eigentlich aussuchen können, wo sie arbeiten, haben wir uns entschieden, bereits in der Rekrutierung andere Wege zu gehen und uns so von unseren Wettbewerbern abzuheben. Als Start-Up, das E-Learning Communities baut, suchen wir alles vom Frontend Engineer über den Android Experten bis hin zum Backend Developer. Unsere Suchkanäle haben sich in den letzten 18 Monaten stark gewandelt: Neben den klassischen Kanälen wie Stellenanzeigen in großen Jobbörsen und Hochschulmarketing an Universitäten, setzen wir nun verstärkt auf das Social Web. Wir bauen unsere Social Media Strategie stetig aus und befeuern hier neben unserem Developer Blog auch unsere facebook Seite, die Google Plus SeiteXING und sind außerdem auf LinkedIn und kununu vertreten. Ein großes Trendthema ist momentan bei uns der Direct Search oder auch Executive Search, den wir Inhouse professionalisieren wollen.

Wald: Könnten Sie kurz beschreiben, wie ein typischer Bewerbungsprozess bei Ihnen abläuft? Gibt es hier Unterschiede zum klassischen Ablauf?
Martens: Unser Bewerbungsprozess kann als klassisch angesehen werden, ist jedoch auf der anderen Seite sehr innovativ und individuell anpassbar. Der erste Schritt ist in den meisten Fällen ein Telefoninterview, gefolgt von unserem Kennlerntag. Diesen Kennlerntag kann man sich wie ein Assessmentcenter vorstellen, wir nehmen uns jedoch für jeden Kandidaten einzeln einen Tag Zeit. Gerne starten wir mit einer kleinen Präsentationsaufgabe mit anschließender Fachdiskussion und steigen dann ins Pair-Programming ein. Beim Pair-Programming ist es uns sehr wichtig, die potentiellen Kollegen zu involvieren, damit man sich gegenseitig kennenlernen kann. Die Kandidaten bekommen immer einen Rundgang durch unsere Räumlichkeiten und werden mit Getränken und Snacks versorgt. Den Abschluss finden wir in einer Frage-und-Antwort Runde mit einem HRler und dem zukünftigen Vorgesetzten, bei der die Kandidaten ihre Fragen klären können. Wenn dann noch Zeit ist, geht unser CTO Tom Smets auch gerne noch einmal mit vielversprechenden Kandidaten essen oder ein Bier trinken, um sich ungezwungener unterhalten zu können. Diese Herangehensweise ist unserer Meinung nach sehr sinnvoll, da auf der einen Seite bereits im Rekrutierungsprozess sowohl das persönliche als auch fachliche Potential der Kandidaten abgefragt werden kann. Auf der anderen Seite geben wir den Kandidaten aber so auch die Möglichkeit, sich umfassend über ihren potentiellen Arbeitgeber zu informieren und das Team kennenzulernen. Wie soll man denn in einem 1,5 Stunden Gespräch entscheiden können, ob man die nächsten 2-5 Jahre seines Lebens täglich an diesem Ort verbringen will? Genau deshalb nehmen wir uns so viel Zeit, stehen aber auch gerne Rede und Antwort.

Wald: Kommen wir nun zum Thema Transparenz bei der Rekrutierung. Wie praktizieren Sie Transparenz in den einzelnen Phasen des Rekrutierungsprozesses?
Martens: Die Transparenz unseres Hiring Prozesses umfasst verschiedene Schritte: Zum einen ist dieser öffentlich über unseren Developer Blog oder auch über facebook für jeden einsehbar und somit nachvollziehbar. Zum anderen weisen wir die Kandidaten spätestens im Telefoninterview auf diesen Prozess hin und erklären die nächsten Schritte. Dies bedeutet, dass jeder der sich informiert, genau wissen kann, was als nächstes auf ihn zukommt. Mich hat das damals in meinem Auswahlverfahren total motiviert! Vor allem wird transparent gemacht, dass im Jahr 2011 beispielsweise nur 18% der Bewerber bis zum Telefoninterview gekommen sind und nur 2% eingestellt wurden. In 2012 waren es sogar nur 17% bis zum Telefoninterview, obwohl die Bewerbungszahlen bei rund 1300 Bewerbungen pro Jahr einen leichten Aufwärtstrend erkennen lassen. Es ist ein tolles Gefühl zu den 2% zu gehören, die letztendlich eingestellt werden.

Wald: Viele Bewerber interessiert es naturgemäß, warum sie eine Absage bekommen haben? Wie gehen Sie mit Fragen dieser Art um?
Martens: Generell geben wir allen Kandidaten, die wir persönlich gesehen haben ein dezidiertes und gewinnbringendes Feedback zu dem, was wir beobachten konnten. Nach einem Kennlerntag gehen wir die einzelnen Aufgaben mit den Kandidaten durch, erfragen ihre Selbsteinschätzung und geben Feedback. Es kann sogar vorkommen, dass wir einen unserer Breakpoints nutzen und den Kennlerntag abbrechen, wenn wir der Meinung sind, dass der Kandidat nicht zu uns passt. Dies kommunizieren wir im Voraus und zu Anfang des Tages ganz explizit und räumen dem Kandidaten dieses Recht selbstverständlich ebenfalls ein. Mit den Gründen hierfür gehen wir ganz offen um und erläutern diese dem Kandidaten in kleiner Runde. Wir versuchen, das Feedback ganz klar auf die Aufgaben zu beziehen und dies auch wertschätzend zu kommunizieren. Letztendlich können wir nur das bewerten, was wir vor Ort gesehen haben. Unser kununu-Feedback zeigt, dass unsere Bewerber dies sehr wertschätzen, da es respektvoller ist, ehrlich zueinander zu sein.

Wald: Geben Sie die Auskünfte aktiv oder nur auf Nachfrage?
Martens: Bei Absagen nach Telefoninterviews bieten wir den Kandidaten an, sich Feedback per Telefon einzuholen. Wie schon erwähnt ist es bei den Kennlerntagen oder auch nach einem Vorstellungsgespräch, das wir manchmal einbauen, anders. Hier ergreifen wir die Initiative.

Wald: Als „alter“ Personaler stelle ich mir vor, dass es nicht immer einfach ist, dem Prinzip Transparenz zu folgen. Es gibt Bewerber, die mit offenen Aussagen nicht gut umgehen können.
Martens: Die Rückmeldung der Bewerber zu diesem Prinzip Transparenz ist zu 95% positiv. Viele sind dankbar, nicht nur einen abgehalfterten AGG-Satz von uns per Email zu bekommen. Wenn wir Verbesserungspotentiale ansprechen, können die Bewerber hieraus auch viel für sich mitnehmen und es bei der nächsten Bewerbung besser machen. Als Personaler und auch als Führungskraft müssen wir hierbei natürlich ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl und Empathie an den Tag legen und uns gut vorbereiten. Unter einigen der sehr positiven kununu Bewertungen für den Bewerbungsprozess befinden sich Bewerber, bei denen wir den Kennlerntag abgebrochen haben. Das spricht denke ich für sich.

Wald: Von wem ging die Initiative aus, Transparenz zu praktizieren?
Martens: Das Prinzip Transparenz zieht sich durch unsere komplette Unter- nehmensstruktur sowie unsere Werte und Arbeitsprozesse. Jeder ist offen für Feedback, um sich stets verbessern zu können und ist angehalten, Feedback einzufordern. Wir haben sehr flache Hierarchien und jede Idee zählt, solange sie mit guten Argumenten untermauert ist. Genau wie die Bewerber von unserem Feedback profitieren können, so profitieren wir auch von ihrem Feedback und wollen unseren Hiring Process ständig verbessern. Man könnte sagen, dass wir als Firma selbst eine Education Community sind.

Wald: Haben Sie Ihre Erfahrungen bereits ausgewertet? Sehen Sie hier Verbesserungspotenziale? Gab es bei der Umsetzung ggf. auch rechtliche Probleme?
Martens: Wir evaluieren unseren Rekrutierungsprozess stetig. Das heißt einerseits, dass der Prozess nicht starr abgearbeitet werden muss und es durchaus auch zu Abweichungen kommen kann. Andererseits muss jeder Bewerber einmal den Kennlerntag bei uns absolvieren, bevor er ein Angebot von uns bekommen kann. Dieser Tag wird von Stelle zu Stelle und von Anforderungsprofil zu Anforderungsprofil angepasst. Natürlich ist es wichtig, die rechtlichen Grundlagen zu beachten. Insbesondere das AGG bildet unsere Basis. Dennoch sind uns die Wertschätzung und das transparente Feedback noch wichtiger.

Wald: Wie können Sie Ihre Erfahrungen mit Transparenz im Rekrutierungsprozess zusammenfassend beschreiben?
Martens: Last but not least kann ich jedem Unternehmen nur empfehlen, das Prinzip Transparenz sowohl in den Rekrutierungsprozess als auch in die Unternehmenswerte zu integrieren. Da wir uns immer mehr auf einen Arbeitnehmermarkt zubewegen, zahlt dieses Prinzip langfristig auch auf die Arbeitgebermarke ein.

Wald: Liebe Frau Martens, herzlichen Dank für das offene Gespräch. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.


Anne Martens von etruvian
Meine Gesprächspartnerin Anne Martens ist studierte Diplom-Psychologin, hat sich aber bereits früh für wirtschaftspsychologische Themen begeistern können. So legte sie ganz bewusst ihre Schwerpunkte im Studium auf Arbeits- und Organisationspsychologie und Klinische Psychologie, als Nebenfach wählte sie Arbeitswissenschaft. Bereits während des Studiums sammelte sie Erfahrungen in Personalbereichen verschiedener Unternehmen.Von der Personalauswahl, Personalentwicklung, der Betreuung und sogar dem Headhunting war fast alles dabei. Ihre erste Anstellung fand sie an der TU Braunschweig als Wissenschaftliche Mitarbeiterin, wo sie sich mit Themen wie Employer Branding, Training und Arbeitsgestaltung auf wissenschaftlicher Ebene beschäftigte. Danach zog es sie zurück in den schönen Norden und sie trat eine Stelle als Projektmanagerin für eRecruiting und Employer Branding bei einer Agentur an, die sich auf Personalmarketingkonzepte und -tools für Unternehmen spezialisiert hat. Im letzten Jahr wurde ihr klar, dass sie als Psychologin den täglichen Kontakt zu Menschen vermisst und sie bewarb sich bei etruvian. Nach einem Telefoninterview, Vorstellungsgespräch und dem Kennenlerntag hatte sie es geschafft – und war als Talent Scout bei etruvian angekommen. Heute ist sie Teil eines standortübergreifend (Hamburg und Gibraltar) arbeitenden und inspirierendem Teams.

1 Kommentar:

  1. Wobei das Thema Hochschulmarketing mittlerweile auch das Social Web erreicht hat und weiterhin ein neues und altes mittel für das Marketing ist.

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